Bewirtschaftete Wälder haben oft den Ruf, nicht besonders artenreich zu sein. Die Ergebnisse von ausführlichen Erhebungen im Forstgut Pichl zeichnen ein anderes Bild und räumen mit diesem Vorurteil auf. Erstmals existieren damit Fakten für ein großflächiges Gebiet (359 ha) und über die tatsächliche ökologische Wertigkeit von bewirtschafteten Wäldern. Rund 50 Wissenschaftler und Experten arbeiteten an dem Projekt mit. Ziel war eine waldökologische Basisinventarisierung, die es erlaubt, die Artenvielfalt im Wirtschaftswald detailliert darstellen zu können – ein „Glaubwürdigkeitstest“ der wertorientierten Forstwirtschaft, formuliert es Stefan Zwettler von der Landwirtschaftskammer Steiermark.
2000 Jahre Gestaltung
Martin Krondorfer, Leiter der Forstlichen Ausbildungsstätte (FAST) Pichl, und Dr. Christian Komposch, Geschäftsführer von Ökoteam, geben Einblick in die Methoden und Ergebnisse der Studie, aber auch die historische Entwicklung des Forstguts Pichl – die Ausprägung eines Waldes mit seiner Baumartenzusammensetzung, seinem Altersaufbau, den Böden, der Nährstoffversorgung und letztlich seinen tierischen und pflanzlichen Besiedlern ist das Ergebnis aus natürlichen Standortsbedingungen und dem menschlichen Einfluss über Jahrhunderte. In der Steiermark nutzen bereits Römer und Kelten die regionalen Wälder, bis hinein ins Mittelalter dienten sie als Ressource für Holz und Holzkohle bei der Herstellung von Salz, Kupfer und Eisen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts befanden sich die intensiv genutzten Wälder in einem sehr schlechten Zustand. Alte Handschriften, Abbildungen und andere Quellen wurden ausgewertet, um vom Forstgut Pichl ein Bild vom Wandel des Waldes zu zeichnen. Inzwischen hat sich der Wald erholt.
17 verschiedene Tiergruppen, Pflanzen, Flechten, Moose, Pilze wurden im Detail untersucht sowie Totholzanteile, Bodenprofile und Witterungsdaten erhoben. Im Rahmen des Leuchtturmprojekts wurden neue Verfahren angewandt, um noch wenig erforschte Lebensräume genauer erfassen zu können. Mithilfe alpiner Klettertechnik drang man etwa zu den höchsten Wipfeln vor und erhielt einen Einblick in den noch wenig erforschten Extremlebensraum Baumkrone.
Neben klassischen botanisch-zoologischen Kartierungsmethoden kamen neue Verfahren wie Unterschlupffallen, Astproben aus den Baumkronen und genetische Methoden zum Einsatz. Auf mehr als 1.500 Berichtseiten wurden insgesamt 2.975 Arten für mehrere Waldgesellschaften dokumentiert. Darunter zwei Erstnachweise für die Steiermark – der Mährische Asselfresser (Dysdera moravica) und der Haselnuss-Borkenkäfer (Lymantor coryli). Zudem wurde der seltene Pichler Scherenspringer (Chthonius pusillus) wiedergefunden. Zahlreiche Rote-Liste-Arten konnten nachgewiesen werden, ebenso wichtige Indikatorarten, wie etwa Krabbenspinnen oder Brettkranker.
Studie als Aufhänger für Infokampagne
Nun dienen die beeindruckenden Ergebnisse als Basis einer Multi-Stakeholder-Informationskampagne. Unter dem Slogan „Vielfalt braucht Bewirtschaftung“ weisen die Projektpartner aus der steirischen Waldwirtschaft – Landwirtschaftskammer Steiermark, FAST Pichl, Waldverband Steiermark, Land&Forst Betriebe Steiermark, Steiermärkischer Forstverein, Holzcluster Steiermark und proHolz Steiermark – darauf hin, dass die Förderung der Biodiversität und eine nachhaltige Bewirtschaftung nicht im Widerspruch stehen. „Entgegen der weitverbreiteten Darstellung, die die Bewirtschaftung von Wäldern mit einer geringen ökologischen Wertigkeit gleichsetzt, zeigen die Ergebnisse auf, dass unsere Wirtschaftswälder eine breite Artenvielfalt beherbergen“, erklärt Kampagnenleiterin Lisa Münzer.
Die Kampagne hat das Ziel, den Wald und seine Bewirtschaftung positiv zu besetzen, will Information vermitteln und Bewusstseinsbildung stärken. Jene Teile der Kampagne, die bereits ausgearbeitet sind, werden stolz präsentiert. So gibt Margit Steidl, die mit ihrem Designbüro Studiolo M für die grafische Gestaltung federführend ist, Einblick in das Erscheinungsbild der Kampagne. Schließlich sollen alle Projektpartner das bereitgestellte Medien-Toolkit mit Fotos, Schriften und Farben verstehen und einsetzen. Neben Online-Auftritten auf sozialen Medien in Form von Posts und Kurzvideos, die sich an die breite Öffentlichkeit richten, sind auch eintägige, kostenlose Schulungen am FAST Pichl für Multiplikatoren und Verantwortungsträger aus Forstwirtschaft, Naturschutz, Jagd, Landwirtschaft und Pädagogik geplant.
Partner, Multiplikatoren und Stakeholder frühzeitig miteinbeziehen
In Arbeitsgruppen zu den Themen Wertschöpfungskette, Wissenschaft, Forstpolitik, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit wurden weitere Details besprochen und anschließend kurz präsentiert. Deutlich wurde, dass viele die Kampagne für gut und sinnvoll halten, sich aber auch an Kampagnen der vergangenen Jahre erinnern, die rasch wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwanden. Viele Fragen wurden ausführlich diskutiert, darunter die Herausforderung, komplexe Inhalte einfach darzustellen. Reicht es, Begriffe wie Bewirtschaftung in „knackigen“ Slogans zu verwenden, oder sollten sie mit den dahinterstehenden Konzepten, Unterschieden und Auswirkungen im Detail erklärt werden? Viele Teilnehmer sprachen sich hier für eine offene und ehrliche Kommunikation aus, die auch Zielkonflikte nicht ausklammert. Inwieweit diese komplexen Inhalte in den kurzen Formaten der sozialen Medien umgesetzt werden können, wird sich zeigen. Die angebotenen Schulungen und ausführlichen Unterlagen sind hier sicher eine wertvolle Ergänzung.
Von den Vertretern der Wissenschaft wurde auf die wachsende und unübersichtliche Vielzahl von Wissensplattformen hingewiesen. Statt zusätzliche Plattformen zu schaffen, sollten gut etablierte ausgebaut werden. Etwas uneinig war man sich, ob die gesamte Wertschöpfungskette oder vor allem die Waldbewirtschaftung im Mittelpunkt stehen sollte.
Die zukünftigen Multiplikatoren zu einem frühen Zeitpunkt mit an Bord zu holen und zur Mitgestaltung einzuladen, spricht für die Kampagne, deren Erfolg ja auch darauf beruht, dass viele die Botschaft weitertragen. Davon kann sich die Öffentlichkeit zum Kampagnenstart Ende Jänner selbst ein Bild machen.
Webtipp: vielfaltbrauchtbewirtschaftung.at